Bio-Saatgut für Portugal: Die Vorteile enger Zusammenarbeit

Ana Maria Barata ist Leiterin der Nationalen Saatgutbank in Braga, Portugal, die zum Institut für Agrar- und Veterinärforschung INIAV des portugiesischen Landwirtschaftsministeriums gehört. Die Saatgutbank wurde 1977 im Auftrag der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) gegründet und bewahrt eine Sammlung europäischer und mediterraner Kultursamen wie Mais, Bohnen und Kohl, aber auch andere Gemüsesorten sowie Kräuter. Ana Maria Barata befasst sich schon seit vielen Jahren mit der pflanzlichen Genforschung und sammelt, bewertet und erhält damit kostbare, genetische Ressourcen. Sie ist überzeugt, dass es notwendig ist, die biologische Pflanzenzüchtung auch nach Portugal zu bringen, und unterstützt daher das portugiesisch-spanische Bio-Pflanzenzüchtungsunternehmen Sementes Vivas / Semillas Vivas und den gemeinnützigen Verein Lebende Samen e.V. Im Laufe der Jahre ist sie mit INIAV eine enge Kooperationspartnerin im Bereich Saatgutforschung und bei der Durchführung relevanter Studien geworden. Ein Beispiel ist die kürzlich veröffentlichte Fallstudie „Bio-Züchtung für mehr Vielfalt - Erforschung des Brassica-Keimplasmas“, an der neben ihr selbst auch Stefan Doeblin, Initiator und Gründer von Sementes Vivas und Lebende Samen, mitgewirkt hat. Das folgende Interview mit Ana Maria Barata wurde im September 2020 per Videoanruf von Karin Heinze, BiO Reporter International, geführt.

Karin Heinze: Frau Barata, sehr schön, Sie kennenzulernen. Vielen Dank für die Gelegenheit, Ihnen einige Fragen zu Ihrem Engagement für Bio-Saatgut stellen zu können. Ihre langjährige Erfahrung und Ihr Wissen in diesem Bereich sind sehr wertvoll für uns. Seit wann arbeiten Sie mit Sementes Vivas und Lebende Samen zusammen?

Frau Barata: Ende 2014 habe ich mich mit Bettina Gerike und Stefan Doeblin, den Gründern von Sementes Vivas, getroffen. Sie kontaktierten und besuchten mich. Ihre Idee, ein Bio-Saatgutunternehmen zu gründen, fand ich sehr interessant, da es in Portugal damals keine eigene Bio-Saatgutproduktion gab. In Portugal verwendetes Bio-Saatgut stammte damals überwiegend aus Italien, Frankreich oder den Niederlanden. Eine portugiesische Bio-Pflanzenzüchtungsfirma zu gründen, war daher ausgesprochen sinnvoll. Nicht nur ich selbst, sondern auch das Institut INIAV glaubten an diese Idee, denn wir erkannten die Notwendigkeit, in diesem Bereich unabhängiger zu werden. Das konnte nur gelingen, indem wir Bio-Saatgut selbst produzieren, erforschen und züchten, um letztlich Sorten speziell für den Mittelmeerraum zu entwickeln. Daher haben wir diese junge Initiative sehr gerne unterstützt.

Karin Heinze: Konnten Sie eine steigende Nachfrage nach Bio-Saatgut feststellen?

Frau Barata: Ja, es gibt hier ganz klar einen Aufwärtstrend. Portugal unternimmt seit einiger Zeit strategische Anstrengungen, um seinen ökologischen Landbau auf das Niveau von anderen europäischen Ländern zu bringen. Auch Verbraucher haben ein zunehmendes Interesse am Kauf von Bio-Lebensmitteln, da dies zur Lösung zahlreicher ökologischer Probleme beiträgt, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, die biologisch bewirtschafteten Flächen zu vergrößern. Folglich benötigen wir auch eine biologische Saatgutproduktion. Bei Sementes Vivas hatten wir das erste Mal mit Leuten zu tun, hinter deren Engagement in Sachen Bio-Saatgut auch eine ernsthafte, konkrete Geschäftsidee stand, und das hat mich überzeugt. Rasch kam eine Zusammenarbeit zustande – natürlich fingen wir zunächst klein an. Inzwischen arbeiten wir jedoch mit Sementes Vivas in großen Projekten zusammen, zum Beispiel in einem EU-Projekt mit Kohl (Brassica) im Rahmen von LiveSeed, einem europäischen Projekt welches von IFOAM Organics Europe und FiBL, dem Forschungsinstitut für den ökologischen Landbau in Europa, koordiniert wird. Dieses Projekt soll noch 2021 abgeschlossen werden.

Karin Heinze: Was motiviert Sie persönlich dazu, Zeit und Interesse in die ökologische Pflanzenzüchtung zu investieren?

Frau Barata: Ich glaube an die Vorteile von Bio-Saatgut und Bio-Landwirtschaft – um der Natur willen und somit für uns alle. Anfangs musste ich zunächst einmal die Leute hier in der Saatgutbank in Braga davon überzeugen, aber mittlerweile ist das Thema sehr aktuell und weit verbreitet. Unser Ministerium ist auch davon überzeugt, dass es zukunftsweisend ist, in den ökologischen Landbau zu investieren, und das schließt die Produktion von ökologischem Saatgut mit ein. Wenn wir, wie es der Green Deal der EU vorsieht, bereits bis 2030 25% - 30% Bio-Fläche in Europa anstreben wollen, dürfen wir das Thema Bio-Saatgut nicht unter den Tisch fallen lassen. Das portugiesische Landwirtschaftsministerium hat beschlossen, den Plänen der EU zu folgen und die Zielsetzung für Portugal noch in diesem Jahrzehnt umzusetzen. Unser Ministerium bemüht sich wirklich sehr um die Entwicklung des ökologischen Landbaus, da dieser nicht nur zur Lösung der Biodiversitäts-, Klima- und Umweltkrise beiträgt, sondern auch eine gute Möglichkeit darstellt, Kleinbauern den Zugang zu Märkten zu erleichtern und ihre Einkommenssituation zu verbessern.

Karin Heinze: Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit der Saatgutbank mit Sementes Vivas?

Frau Barata: Lassen Sie mich zuerst etwas Persönliches sagen: Wir respektieren uns gegenseitig und haben im Laufe der Jahre nicht nur eine geschäftliche Zusammenarbeit, sondern auch freundschaftliche Beziehungen aufgebaut. Für die geschäftliche Zusammenarbeit hatten wir die Zustimmung des Nationalen Instituts für Agrar- und Veterinärforschung (INIAV) und unterzeichneten 2016 eine gemeinsame Absichtserklärung, in der festgelegt wurde, dass Sementes Vivas von uns Samen zur Vermehrung bekommt, diese an uns zurückgibt sowie selbst weiter vermarkten darf. Dies ist meiner Meinung nach eine Win-Win-Situation: Sementes Vivas testet Samen aus der Saatgutbank und kann sie nach der Selektion kommerzialisieren. Ein weiterer Vorteil der Zusammenarbeit mit Sementes Vivas ist die Tatsache, dass die Klimabedingungen in Braga, wo sich unsere Saatgutbank befindet, und in Idanha-Nova, wo Sementes Vivas einige Versuchsfelder hat, sehr unterschiedlich sind. Dies ist perfekt für Forschung, Tests und Zucht.

Karin Heinze: Woran arbeiten Sie derzeit gemeinsam mit Sementes Vivas?

Mit Sementes Vivas arbeiten wir derzeit an drei verschiedenen Projekten. Eines befasst sich mit der Auswahl und Produktion von Bio-Kohl, ein weiteres untersucht Mischkulturen aus Kuherbsen und Mais und das dritte, in welches auch der Verein Lebende Samen involviert ist, ist ein EU-finanziertes Projekt zur Bewertung von Karotten. Für diese Projekte ist es sehr hilfreich, auf solche Partnerschaften bauen zu können, denn so können wir einen anderen Forschungsansatz verfolgen und Aufgaben untereinander aufteilen. Denn Forschung ist schließlich auch immer eine Frage der Kapazitäten und der Finanzierung.

Karin Heinze: Glauben Sie, dass die ökologische Pflanzenzüchtung in Portugal Zukunft hat?

Frau Barata: Ja, ich denke schon, denn die Nachfrage steigt und wird dies in Zukunft weiter tun. Vor dem Hintergrund planen wir derzeit noch ein anderes spannendes Projekt mit Sementes Vivas. INIAV hat gemeinsam mit Stefan und seinen Kollegen vorgeschlagen, einen Projektantrag für die Schaffung eines Forschungs- und Ausbildungszentrum für den ökologischen Landbau in Idanha zu stellen. An diesem ehrgeizigen Projekt sind nicht nur Sementes Vivas, sondern auch die Universität von Coimbra, FIBL und die Gemeinde Idanha beteiligt. Hier kommen immer mehr gute Initiativen zusammen, und ich schätze das sehr. Es ist wichtig, einen Ort zu haben, an dem wir forschen, Feldversuche durchführen und praktisches Wissen zur ökologische Pflanzenzüchtung weiterverbreiten können, um mehr Menschen entsprechend auszubilden. Sementes Vivas wird in der ökologischen Saatgutproduktion zunehmend an Bedeutung gewinnen, weil der ökologische Markt und die Nachfrage nach ökologischem Gemüse auf nationaler Ebene und auf Exportniveau im Mittelmeerraum steigen. Daher ist eine Saatgutproduktion in Bio erforderlich.

Ein weiterer wichtiger Grund, warum ich an die ökologische Pflanzenzüchtung glaube, ist die Notwendigkeit und unser gemeinsames Bemühen, den Klimawandel zu bekämpfen und uns ihm anzupassen. Egal ob Landwirte oder Verbraucher, wir alle müssen uns damit auseinandersetzen, und wir brauchen neue Sorten, damit unsere Nahrungspflanzen diesen Herausforderungen gewachsen sind. Bio-Züchtungsmethoden sind effektiv und basieren auf alten lokalen Sorten, die unter bestimmten klimatischen Bedingungen widerstandsfähiger sein können. Wir bewahren diese Sorten in der Saatgutbank und haben gutes genetisches Material, um resistente und gesunde, angepasste Sorten zu entwickeln – doch gemeinsam mit Partnern wie Sementes Vivas und Lebende Samen können wir in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse erzielen. Natürlich gibt es auch andere Ansätze, etwa den unseres Projektes "Farmer´s Pride", bei dem wir mit erfahrenen Kleinbauern zusammenarbeiten, die ihre eigenen Samen aus alten Sorten auswählen. Das ist großartig - aber wir brauchen auch einen systematischen Ansatz, und dieser wir von den Experten von Sementes Vivas und einem Team professioneller Pflanzenzüchter verfolgt. Abschließend kann ich resümieren, dass unsere Zusammenarbeit mit Sementes Vivas und Lebende Samen sehr positiv und fruchtbar ist.

Karin Heinze: Vielen Dank für dieses interessante Gespräch, Frau Barata.