Saatgut ist der Ursprung unserer Nahrung

Hugo Zina und Theresa Sabo waren in 2019 Teil des Gründungsteams von Sementes Vivas. Das portugiesisch-spanische Saatgutunternehmen wurde damals mit der Vision gegründet, ökologisches Saatgut im Mittelmeerraum verfügbar zu machen und widerstandsfähige Sorten zu entwickeln, die an die Bedürfnisse des Bio-Landbaus in Südeuropa angepasst sind. Auch ein hoher Nährstoffgehalt und aromatischer Geschmack der Sorten waren den Gründern von Beginn an wichtig. Hugo ist heute in Teilzeit im Saatgutvertrieb für das Unternehmen tätig, betreibt jedoch außerdem zusammen mit seiner Partnerin Theresa die kleine Bio-Gärtnerei Horta do Pedescalco, in der er mit dem Saatgut von Sementes Vivas Bio-Gemüse anbaut. Hugo ist Naturschutzbiologe und Theresa hat einen Abschluss in ökologischer Landwirtschaft. Die beiden haben sich beim Studium in Witzenhausen kennengelernt und sind inzwischen stolze Eltern einer kleinen Tochter. Karin Heinze, BiO Reporter International, hat mit den beiden Bio-Pionieren in unserem „Saatgutgespräch“ gesprochen.

Karin: Da ich euch nicht besuchen kann, wäre es sehr hilfreich, wenn ihr mir den Ort, an dem ihr lebt und arbeitet, beschreiben könntet.

Hugo: Wir haben einen Gemüsegarten - man kann es nicht als Bauernhof bezeichnen.  Das Stück Land, das wir gepachtet haben, ist 3,5 Hektar groß, aber wir nutzen nur etwa 0,5 Hektar für den Anbau. Unser 'Horta do Pedescalco’ (Barfuß-Garten) liegt etwa 8 km vom Meer entfernt, 80 km nördlich von Lissabon, in der Nähe der Stadt Caldas de Rainha. Unser Land grenzt an eine Art Sumpf, der Teil eines Naturschutzgebiets ist. Das Mikroklima hier ist ungewöhnlich feucht mit viel Nebel und hoher Luftfeuchtigkeit, aber wir haben nicht genug Regen. Deshalb sind wir froh über unsere großen Teiche, die wir bei Bedarf für die Bewässerung nutzen können.

Wir wirtschaften ohne Maschinen, machen keine Bodenbearbeitung und bauen unsere Pflanzen in Dauerbeeten an. Da wir den Boden nicht wenden, bleibt die Bodenstruktur und das Bodenleben intakt. Zusätzlich setzen wir auf Kompost. Wir vermarkten unser Bio-Gemüse samstags auf einem nahe gelegenen Markt und bieten auch Abokisten an. Unser System wird „Market Gardening“ genannt, eine große Bewegung, die in Nordamerika begann und die inzwischen auch in Europa immer mehr an Popularität gewinnt. Unser Marktgarten-Projekt ist wirklich erfolgreich und wir sind drei Jahre nach unserem Start hier sehr zufrieden. Wir schätzen die Methode, weil sie zu den Menschen und der Natur passt – und nicht zu den Maschinen. Außerdem ist sie sehr produktiv.

Karin: Wie seid ihr auf das Thema Bio-Saatgut gekommen?

Hugo: Das ist eine lange Geschichte. Ich bin ausgebildeter Naturschutzbiologe, mit Spezialisierung auf Vögel. Der Zustand unseres Planeten mit zunehmendem Hunger und gravierenden Umweltproblemen beunruhigt mich schon seit geraumer Zeit und so habe ich mich diesem Thema mehr und mehr gewidmet. Schließlich bin ich dann vom Tierschutz in den Bereich Ernährung gewechselt. Theresa hat an der Universität in Witzenhausen Ökolandbau studiert. Als wir dort einen Aushang von Stefan Doeblin sahen, der Leute suchte, die sich für ökologischen Landbau und Saatgutproduktion interessieren, um ein Unternehmen in Portugal zu gründen, waren wir gleich begeistert. Wir kontaktierten ihn und gehörten nur wenige Monate später zu den Gründern von Sementes Vivas. Ich bin überzeugt, dass es notwendig ist, die ökologische Saatgutzucht in mein Heimatland zu bringen. Saatgut ist die Grundlage jeder Nahrungspflanze und auch die Grundlage der Saatgutsouveränität.

Theresa: Unsere Hauptmotivation, in das Thema Saatgut einzusteigen, war die Tatsache, dass Saatgut die Grundlage aller Lebensmittel ist. Wir lieben es, auf den Markt zu gehen und unseren Kunden von der Qualität unserer Produkte und den Vorteilen von Gemüse aus biologischem Saatgut zu erzählen. Es geht auch um die Artenvielfalt in der Natur und auf dem Teller. Wenn man über gesundes Essen und gesunden Boden spricht, kommt man unweigerlich zum Thema Bio-Saatgut. Auch Biodiversität ist für uns sehr wichtig – sie spielt in unserem Garten eine zentrale Rolle. Wir profitieren davon, dass wir an ein Naturschutzgebiet grenzen und es ist eine große Freude für uns, in Harmonie mit den vielen Tier- und Pflanzenarten, die es hier gibt, zu wirtschaften. Wir fühlen uns verantwortlich für den Erhalt dieser Vielfalt. Mit unserem Garten versuchen wir, unseren CO2-Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Das wird auch unseren Kunden gegenüber kommuniziert und diese wissen es zu schätzen.

Karin: Produziert ihr auf eurem Hof auch Bio-Saatgut?

Hugo: Mittlerweile verwenden wir nur noch das Bio-Saatgut von Sementes Vivas, mit eigenem Saatgut machen wir jedoch auch hin und wieder Versuche. Als wir uns nach 2 Jahren Mitarbeit bei Sementes Vivas selbstständig gemacht haben, um uns mit dem Market Gardening-Konzept mehr auf die Gemüseproduktion zu konzentrieren, habe ich mich entschieden, den wirtschaftlichen Teil unseres Projekts als Teilzeitkraft im Vertrieb von Sementes Vivas-Saatgut zu unterstützen. Ich pflege den Kontakt zu professionellen kleineren und größeren Landwirten in der Küstenregion und auch zu einer Bio-Gemüsegärtnerei. Und ich sorge dafür, dass die Gartencenter und Bio-Läden der Region immer gut mit den kleinen Saatgutpackungen für den Hobbymarkt bestückt sind. Natürlich kann man Sementes Vivas Saatgut auch online beziehen. Nach vier Jahren harter Arbeit können wir sagen, dass die Marke Sementes Vivas in Portugal recht gut verbreitet ist. Fast in jeder größeren Stadt ist das Saatgut in ein paar Geschäften erhältlich und das gesamte Sortiment für Hobbygärtner ist mittlerweile auf 287 Sorten angewachsen. Für Profis gibt es ein spezielles Sortenangebot.

Karin: Glaubt ihr, dass die ökologische Landwirtschaft Bio-Züchtungen braucht?

Hugo: Ja, da bin ich mir sicher. Aber leider sind professionelle Landwirte und Gärtner nicht so leicht von der Notwendigkeit von Bio-Saatgut zu überzeugen. Der Markt drängt zu stark auf Produktivität und fordert oft, dass sie Hybride anbauen. Da es in der EU immer noch Ausnahmeregelungen für die Verwendung von Bio-Saatgut gibt, greifen nach wie vor viele Landwirte auf konventionelles, unbehandeltes Saatgut zurück, wenn Bio-Saatgut in einer bestimmten Sorte nicht verfügbar ist. Hobbygärtner hingegen wollen immer öfter ihr eigenes Saatgut herstellen und bevorzugen samenfeste Saatgutsorten.

Theresa: Bio-Saatgut ist für uns ganz wichtig. Wir können uns nicht vorstellen, unser Gemüse aus konventionellem Saatgut zu ziehen, schon allein deshalb, weil wir authentisch, klimaschonend und biodivers arbeiten wollen.

Karin: Konntet ihr während der Covid-Krise einen Nachfrageschub nach Bio-Lebensmitteln und Bio-Saatgut feststellen?

Hugo: Da wir komplett von unseren Verkäufen auf dem Markt abhängig sind mussten wir sehr schnell reagieren. Beim ersten Lock Down im Frühjahr 2020 haben wir vom Marktverkauf auf ein Abokisten-System umgestellt. Das war zum Glück ein voller Erfolg. Die Leute hatten ein überwältigendes Interesse, wir kamen mit Produktion und Logistik kaum nach. Immer wenn es die Situation erlaubt und der Markt seinen Betrieb wieder aufnimmt, können wir auch hier eine verstärkte Nachfrage und ein größeres Bewusstsein für gesunde Lebensmittel feststellen. Der Saatgutverkauf im Online-shop von Sementes Vivas ist seit dem Beginn der Pandemie sprunghaft angestiegen.

Karin: Müsst ihr viel Überzeugungsarbeit leisten?

Theresa: Ja, auf jeden Fall. Vielerorts sind die Menschen hier noch recht unkritisch gegenüber Themen wie der Konzentration von Saatgut in den Händen von Konzernen, Hybridsaatgut oder Gentechnik. Der Einkauf lokaler Produkte auf Märkten ist dagegen sehr beliebt - und viele Käufer gehen davon aus, dass regionales Gemüse per se natürlich oder biologisch ist. Auch viele unserer Stammkunden auf dem Markt haben noch nicht realisiert, dass Bio-Gemüse nicht automatisch immer aus Bio-Saatgut stammt. Die Nachfrage nach Bio-Saatgut für den eigenen Gemüseanbau allerdings steigt kontinuierlich.

Karin: Wie sinnvoll ist der Fokus auf Sorten für die Klimazone Mittelmeerraum?

 Hugo: Spezielle für den mediterranen Raum angepasste Sorten sind enorm wichtig. Im Sommer sind Hitze und Trockenheit ein großes Thema und auch wenn wir den klimatischen Vorteil haben auf Grund der milden Winter viele Sorten ganzjährig anbauen zu können, müssen unsere Pflanzen in dieser Jahreszeit mit weniger Licht auskommen. Sowohl natürliche Wildnis als auch die Biodiversität, die der Mensch im Laufe der Zeit als Agro-Biodiversität geschaffen hat, gehen im Zuge der „landwirtschaftlichen Revolution“ massiv verloren. Wir hingegen versuchen, unseren Anbau so stark wie möglich zu diversifizieren. Als Teil von Sementes Vivas ist es uns ein Anliegen, die Botschaft über die Bedeutung biologischem Saatgutes einem breiten Publikum zu vermitteln. Dieses Bewusstsein ist bereits sehr gewachsen – doch da geht noch mehr.